​Wie politisch darf Kirche sein?

​Wie politisch darf Kirche sein?

​Wie politisch darf Kirche sein?

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​Wie politisch darf Kirche sein?

Der Leitartikel unseres letzten Gemeindemagazins zur aktuellen politischen Lage in Deutschland

Zwei Situationen mitten aus dem Leben.

Sonntagmorgen. Evangelische Kirche Haan. Der Pfarrer predigt. Es geht um soziale Gerechtigkeit, viel mehr noch um soziale Ungerechtigkeit. Der Pfarrer spricht über gesellschaftliche Schieflagen, zeigt Handlungsnotwendigkeiten auf, erinnert jede und jeden daran, welche persönliche Verantwortung wir haben. Im Livestream bei YouTube kommentiert ein junger Mann die Predigt: Herr Pfarrer, sie sollen das Evangelium verkündigen, keine politische Rede halten!

Ein Abend, mitten in der Woche. Nach meinem Trainingsprogramm im Sportclub sitze ich in der Sauna um zu entspannen. Es ist gesellig, es wird gequatscht. Auf Umwegen lande ich mit meinem Banknachbarn beim Thema Politik. Wie sich schnell herausstellt kein gutes Thema. Er preist mir neue alternative Ideen für Deutschland an. Ich widerspreche, ganz privat, aber natürlich bin ich Pfarrer. Mein Nachbar erbost sich darüber, dass die Kirchen lautstark Kritik äußert. Das sei politische Einmischung. Ich habe dann erklärt, warum Kirche zu bestimmten Themen hoffentlich nicht schweigen wird – vor allem nicht schweigen kann.

Auch hier möchte ich kurz erklären warum: wenn Menschen auf der Flucht, aber auch Migranten, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, homosexuell lebende Menschen, Menschen mit Behinderungen und viele andere Minderheiten auf einmal mit Angst in unserem Land leben müssen, weil neue politische Ideen sie bedrohen, dann kann und darf Kirche nicht schweigen. Bei dieser Kritik geht es nicht um einzelne politische Parteien, sondern um menschenverachtende Haltungen, denen deutlich zu widersprechen ist – und die durchaus parteiunabhängig oder parteiübergreifend in Deutschland zum Trend werden.

Kirche existiert nicht aus sich selbst heraus, sondern tatsächlich aus der Verkündigung des Evangeliums. Da hat der eben zitierte junge Mann schon recht. Aber was bedeutet es, das Evangelium zu verkündigen?

Wenn man jede politische Dimension ausblendet, dann ist das Evangelium, die gute Nachricht, natürlich erst einmal die Botschaft von Jesu Sterben und Auferstehung. Die Botschaft des ewigen Lebens und die Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde. Verbunden mit der Vergebung von Schuld. Und das ist wahrlich eine gute Nachricht!

Aber Jesus hat es bei seinen Worten und vor allem bei seinen Taten eben nicht bei einer Vertröstung auf eine bessere und künftige Welt belassen. Er hat das Unrecht beim Namen genannt und vor allem: er hat sich eingesetzt für alle diejenigen, die Schutz und Unterstützung brauchten. Wie Gudrun Obermeier es in einer Predigt zum Ausdruckt bringt: Jesus war kein Politiker aber er hat Politik gemacht. Dabei verweist sie auf die lange Tradition der Propheten im Alten Testament, die soziale Ungerechtigkeit und politische Missstände im Volk Israel angeprangert haben. Wie er von sich selbst sagt, ist Jesus nicht gekommen, um das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen. Jesus erhebt seine Stimme für Minderheiten. Für Fremde, für gesellschaftlich Ausgestoßene, für Prostituierte, verachtete Zöllner, viele andere Menschen, denen gesellschaftlich die Existenzberechtigung abgesprochen wurde. Jesus hat sich gekümmert: Nicht um seinen guten Ruf, sondern um die Menschen, die ihn gerade nötig hatten. Wie er mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter deutlich macht, ist mein Nächster immer der, der mich gerade am meisten braucht. In der Nachfolge sollen wir zum Licht und Salz in der Welt werden. Wie fad eine Suppe schmeckt, wenn das Salz fehlt, wissen wir alle. Deshalb ist die Frage nicht, wie politisch Kirche sein darf, sondern warum sie politisch sein muss! Nicht für oder gegen politische Parteien, sondern in dem sie Partei ergreift für Menschenrechte und Menschenwürde.

 

Thesen zur politischen Dimension von Kirche in Welt und Gesellschaft:

1.Ethische Verantwortung und Gerechtigkeit: Kirchen vertreten moralische und ethische Werte, die auf Prinzipien wie Menschenwürde, Frieden, soziale Gerechtigkeit und Solidarität basieren. Diese Werte beeinflussen auch politische Themen wie Sozialpolitik, Umweltschutz oder Menschenrechte. Deshalb ist es eine Pflicht sich als Kirche sich in politischen Diskussionen einzumischen.

2.Stimme für die Schwächeren: 

Kirche ist auch Vertreterin für all die Menschen, die keine Lobby haben: Arme, Migranten und andere marginalisierte Gruppen.  Durch ihr Engagement muss sie auf Missstände aufmerksam machen. Sie ist die natürliche Fürsprecherin hierfür und sollte faire Bedingungen fordern.

3.Historische Rolle und Tradition: In der Geschichte haben Kirchen immer wieder eine politische Rolle gespielt und sich gegen autoritäre Regime, Kolonialismus und soziale Ungerechtigkeit gestellt. Besonders die Befreiungstheologie in Lateinamerika, die sich gegen Diktaturen und für die Rechte der Armen starkmachte, zeigt, dass  Kirche gesellschaftspolitisch prägende Arbeit leisten kann.     

4. Einfluss auf ethische Debatten: Kirche mischt sich schon seit vielen Jahren in der Politik ein. Wichtige Themen wie Sterbehilfe, Genetik, Abtreibung. Hier sind fundamentale ethische Positionen von Kirche betroffen. Hier steht Kirche in der Verantwortung, Positionen öffentlich zu vertreten, Moralische Einschätzungen zu geben. Die Menschenwürde muss hier im Mittelpunkt stehen. Deshalb darf Kirche nicht schweigen.

5. Vorbildfunktion und moralische Integrität: Kirche hat eine moralische Vorbildfunktion. Sie trägt dadurch eine gesellschaftliche Verantwortung.

6. Förderung des gesellschaftlichen Dialogs: Kirche ist eine der ältesten Institutionen der Gesellschaft mit unterschiedlichsten Hintergründen. Durch politische Äußerungen leistet sie einen wichtigen Dialog. Verschiedene Sichtweisen können so dargestellt werden.

Gudrun Obermeier, Dirk Raabe und Christian Dörr

 

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